Milchhüüsli

Was Bitteschön ist ein "Milchhüüsli", werden sich meine Leser aus dem Norden und Osten unseres grossen Kantons fragen? Schweizerdeutsch zeichnet sich unter anderem durch extensive Verwendung des Diminutiv aus. Wir wünschen uns "es schöns Tägli" ("ein gutes Tägchen"), wir trinken ein "Tässli Kafi" ("ein Tässchen Kaffee") oder schlagen vor: "Gömmer no no uf es Pierli?" ("gehen wir noch auf ein Bierchen?"). Der Verwendung des Diminutivs ist aber keineswegs durchgängig, folgt aber klaren Verwendungsregeln, wenn auch diese nicht unbedingt logisch nachvollziehbar sind. Selbst eine respektable 2 Millionen Villa kann also noch ein "Hüüsli" ("Häuschen") sein und eine 75 Personen fassende Seilbahn ein "Bänli". Niemals hingegen würde ein Schweizer von "Fränkli" sprechen, wenn der einen "Franken" meint - unsere Währung ist gross und stark, da wird nichts verkleinert! Jemand, der sowas von sich gibt, ist augenblicklich als Deutscher entlarvt, der anbiedernd versucht, den Schweizer Dialekt nachzuahmen. Nach diesem kleinen Exkurs ins Schweizerdeutsch, wissen jetzt also alle meine Leser zwischen Konstanz (die wussten das ja sowieso schon) und Flensburg, was ein "Milchhüüsli" ist: Ein kleines Häuschen für Milch. Was aber hat es nun auf sich, mit diesem Begriff?

Beim "Milchhüüsli" handelt es sich um eine feste Redewendung zwischen Philipp und mir und geht auf folgende Geschichte zurück: Als Philipp mit seiner damaligen Freundin und heutigen Ehefrau zusammenzog, wurde ihr gesamter Hausrat in Bananenschachteln verpackt, ordentlich beschriftet und schön gestapelt in der Garage verstaut. Da Philipp bereits über einen kompletten Hausrat mit Mixer, Toaster, Entsafter und sonstigem Gerät verfügte und sich auch bei Mary schon einiges an Geschirr, Töpfen, Entsaftern und Bettwäsche angesammelt hatte und sich auch noch einiges an über die Jahrzehnte zusammengesammeltes Aquarienmaterial von Philipp dazugesellte, war die Garage mit Bananenschachteln alsbald gut ausgefüllt. Wenn ich hier "ausgefüllt" schreibe, dann meine ich auch ausgefüllt: Wortwörtlich vom Boden bis zur Decke! Philipp ist aber keineswegs unordentlich, im Gegenteil, ich kenne wenig Leute, die so gut organisiert und ordentlich sind wie er: Die Kisten waren alle schön ausgerichtet und gestapelt, als wäre da ein Maurer mit Senkblei und Schlagschnur am Werke gewesen.

In einem Gespräch, einige Jahre später, erwähnte Philipp dann irgendwann den damals auch mir nicht geläufigen Begriff des "Milchhüüsli". Beim Milchhüüsli handelt es sich um das neben der Garage stehende Gebäude, in welchem der Bauer des benachbarten Bauerngehöfts früher die Milch verarbeitete. Wo der Bauer heute seine Milch verarbeitet, ist mir unbekannt, vermutlich hat er wohl seinen Hof von Viehwirtschaft auf die einträglichere Finanzundsteuerberatungswirtschaft umgestellt? Eben dieses Gebäude wollte Philipp nun mieten um seinem Auto, das wegen der Bananenschachteln in der Garage, ganzjährig draussen stehen musste, einen Unterstand zu gewähren. Offenbar war es mein Freund leid, während der Wintermonate jeden Morgen die Scheibe frei zu kratzen und im Sommer eingetrocknete Beeren und Guano vom Lack zu waschen - seine Beweggründe sind ja durchaus nachvollziehbar. Mein Vorschlag, dass er doch alternativ erwägen solle, die Garage aufzuräumen und Sachen, die schon seit Jahren da unangetastet und aufgrund der Höhe der Kistenstapel auch unantastbar eingelagert sind, zu entsorgen oder karitativen Zwecken zuzuführen, stiessen aber auf taube Ohren.

Seither verwenden Philipp und ich den Begriff "Milchhüüsli" für die Erweiterung von Raum zum Zwecke der Vermeidung von Aufräumen und Wegwerfen. Wenn mir also Philipp von notorischem Platzmangel auf den Festplatten seiner IT Geräte erzählt und mich fragt, wie er denn mittels Festplattentausch, NAS oder Cloudstorage die Kapazität erhöhen könnte, dann lautet meine lapidare Antwort jeweils: "Milchhüüsli!" und meine damit, dass er seine Dateien aufräumen und Kopien von Kopien von Ordnern löschen solle.

Da ich in letzter Zeit Immer wieder mit Warnungen von iTunes konfrontiert werde, dass mein iPhone aufgrund mangelnder Kapazität nicht gebackuped werden könne und iMovie sich weigert Filme in höchster Qualität zu speichern, weil zu wenig Speicherplatz zur Verfügung stehe, stehe nun auch ich vor der Aufgabe meine iBananenschachteln aus der iGarage zu räumen. Ich lösche erst mal die PST-files von den letzt-, verletzt und vorvorletzten Jahren an eMails, die ich sowieso nie mehr lesen werden und dann noch Backup-Kopien von Geschäftsdaten von Firmen, für die ich vor Jahrzehnten gearbeitet habe - diese Daten gehören sowieso nicht mir und haben auf einem Privatgerät nichts verloren. Nachdem ich also mehrere Bananenkisten an Ordnern und Dateien gelöscht habe, war erst mal Ruhe. Aber schon einige Wochen später - dass ich neuerdings zu Hause Videos schneide, trägt sicher seinen Teil dazu bei - überläuft meine Festplatte wieder. Jetzt muss also ein "Milchhüüsli" her in Form einer 4 TB grossen SSHD Platte, die ich in meinem Mac verbauen will. Glücklich ist, wer wie ich über einen Uralt-iMac der Bauart "21.5 Inch Mid 2011" verfügt, denn diese lassen sich, im Gegensatz zu den neueren Macs mit dem schlanken Gehäuse, noch relativ einfach öffnen. Der rahmenlose Monitor wird von kräftigen Magneten in Position gehalten und kann mittels Saugnäpfen gelöst werden. Dann sind 8 Torxx-Schrauben zu lösen, ein paar Flachbandkabel sorgfältig zu entfernen und die Eingeweide des Computers liegen offen vor einem.

Wer sich selber an ein solches Unterfangen wagt, soll aber wissen, dass ein Apple Mac in Bezug auf Hardware weit weniger offen ist, als ein Standard-PC mit Windows: Apple verwendet zwar Festplatten von Seagate, hat darauf aber einen Temperatursensor anbringen lassen und verwendet spezielle Firmware. Nimmt man nun eine viel günstigere Standard-SATA-Platte von Seagate, funktioniert diese zwar grundsätzlich, aber wegen des fehlenden Temperatursensors läuft der Lüfter fortan permanent auf 100% Leistung. Dass man modernere iMacs nicht mehr oder nur noch nach Entfernen einer Klebeschicht mittels einer Art Pizzarädchen öffnen kann, finde ich schon eine ziemliche Zumutung. Da verfolgt Apple offensichtlich die Haltung "Function follows Design". Softwareseitig kann Apple dann allerdings wieder punkten: Nach dem Einschalten meines iMacs mit jungfräulicher Platte, erscheint nach Druck von Alt-R die Frage nach WLAN und WLAN-Passwort, daraufhin wird im Hintergrund ein Mini-OS vom Web geladen und schon kann ich ohne weitere Mühen das Gerät von meiner TimeMachine restoren.

Die Arbeit ist getan und ich habe wieder reichlich Platz um fröhlich und ohne Angst nicht mehr speichern zu können, weiter zu bloggen!

Der Patient liegt sediert auf dem Operationstisch und die oberste Hautschicht entfernt - Die Magnethalter sind gut zu erkennen


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Der Bauchraum ist eröffnet


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Des entnommene Organ mit Kapazitätsengpass


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Das Milchhüüsli liegt bereit - es kann eingepflanzt werden


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Die Operationswunde ist verschlossen - aber lebt der Patient noch?


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Hurra, der Patient atmet und seine Vitalfunktionen sind noch vorhanden: Operation gelungen!


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