Balling für Praktiker - die hundertunderste Abfassung zum Thema

Es gibt Hunderte von Anleitungen für die Balling-Methode und somit kann ich doch auch die Hundertunderste schreiben. Meine Anleitung soll sich aber von den vorangehenden dahingehend unterscheiden, dass ich diese aus Sicht eines Nicht-Chemikers schreibe und meine Leser mit unnötigem Ballast weitgehend verschonen werde. Anlass zum heutigen Blog-Eintrag ist eine Anfrage eines befreundeten Meerwasseraquarianers, dessen KH und Ca-Werte gesunken sind und der mich um nach Rat gefragt hat. Bei der Formulierung meiner Antworten in WhatsApp habe ich bemerkt, dass ich auch erst wieder mein Wissen auffrischen musste und ich fand, dass die verfügbare Informationen teilweise recht umfangreich aber oftmals auch übermässig kompliziert sind.

Kalzifikation und Kalk


Als Kalzifkation bezeichnet man den Vorgang der Kalkbildung, was einige Organismen in unseren Aquarien für ihr Wachstum brauchen. An erster Stelle seien natürlich Steinkorallen zu nennen, derselbe Vorgang trifft aber auch zu für Muscheln, Schnecken und Kalkrotalgen (das sind die harten rötlichen Beläge auf Lebendsteinen und oft auch am Abschäumer - nicht zu verwechseln mit Cyanobakterien). Wir kennen Kalk als Ablagerung in Wasserleitungen, als hässliche Flecken auf den Badezimmerarmaturen oder in etwas geänderter Form auch als Marmor über den wir schreiten, sollten wir mal wieder eine Bankfiliale betreten. Was wir umgangssprachlich als Kalk bezeichnen ist chemisch gesehen Calciumcarbonat und dessen Formel lautet CaCO3. Damit nun unsere Steinkorallen, Muscheln etc. Kalk bilden können, benötigen sie grob gesagt zwei Komponenten: Kalzium (oder auch Calcium geschrieben) und Karbonat. Nun ist es aber leider so, dass man nicht einfach in den Aquarienladen oder die nächste Apotheke laufen kann um sich je eine Tüte Calcium und Karbonat zu kaufen, denn bei beiden handelt es sich um Ionen, das heisst elektrisch geladene Moleküle. Das Calcium hat zwei positive Ladungen und wird daher als Ca 2+ geschrieben und das Carbonatmolekül hat 2 negative Ladungen und wird darum als CO3 2- ausgedrückt.

Ebenso wenig wie wir nicht in der Eisenwarenhandlung Magnete bestehend nur aus Nordpolen kaufen können und es keine Batterien gibt, die nur Pluspole haben, ist es auch nicht möglich nur Ionen einer bestimmten Ladung herzustellen und in Dosen abzufüllen. Na gut, wird sich der Leser denken, dann kaufe ich halt eine Tüte mit gemahlenem Kalk und dann habe ich da ja meine positiv geladenen Calcium-Ionen und meine negativ geladenen Karbonat-Ionen drin. Von dem Pulver gebe ich einen ordentlichen Kochlöffel voll ins Aquarium und gut ist. Leider ist das aber nicht so einfach: Die Kalziumionen und die Karbonationen fühlen sich als Paar so wohl, dass sie sich auch fein gemahlen nicht trennen mögen. Erst Säuren, wie zum Beispiel Essigsäure oder die Säure welche in Durgol oder sonstigen kommerziellen Entkalkungsmitteln drin ist, vermag das Kalk in seine zwei Bestandteile zu trennen. Die zwei Ionen sagen vor dem Traualtar also sinngemäss: "Bis dass die Säure uns scheidet…" Was wir also ins Aquarium geben würden, wäre einfach Kalkpulver und bei den im Aquarienwasser vorhersehenden pH-Werten (dieser Wert zeigt an, wie sauer oder basisch eine Flüssigkeit ist) würde der Kalk Kalk bleiben, sich am Boden als Pulver absetzen und würde den Korallen nicht zur Verfügung stehen.

Kalkreaktor


Wenn wir den Gedanken der direkten Kalkzugabe aber weiterspinnen, gibt es hierfür tatsächlich eine technische Lösung, nämlich den Kalkreaktor. In einem Reaktionsgefäss wird Korallenbruch (oder künstlich hergestellter Kalk) in kohlensäurehaltigem Aquarienwasser aufgelöst und dann tropfenweise ins Aquarium gegeben. In den Reaktor wird über eine pH-Sonde und ein Magnetventil gesteuert Kohlendioxyd (CO2) aus einer Flasche eingeleitet, dieses löst sich im Wasser zu Kohlensäure und damit der Kalk in seine zwei Bestandteile gelöst. Für sehr grosse Becken ist ein Kalkreaktor eine günstige Möglichkeit um die Korallen mit Kalzium- und Karbonationen zu versorgen. Für normalgrosse Becken (ich sag mal so unter 5000 Litern) ist der technische Aufwand hierfür aber unverhältnismässig hoch. Ein Kalkreaktor ist auch nicht ganz ungefährlich, falls nämlich zu viel der Kohlensäure in unser Becken gelangt, kann der pH sehr stark absinken und ausserdem fördert CO2 das Algenwachstum (darum haben die Kollegen von der Süsswasserbrigade immer diese Flaschen im Unterschrank rumliegen). Das dauernde Nachfüllen der CO2-Flasche ist ebenfalls unbequem und führt bei grossen Flaschen zu Bandscheibenvorfällen und Leistenbrüchen.

Ballingmethode


Der Ansatz des Meerwasseraquarianers und Chemikers Hans-Werner Balling ist nun der folgende. Er machte sich auf die Suche nach Stoffen, die Kalziumkarbonat respektive Karbonat-Ionen enthalten und deren jeweilige Gegenspieler im Aquarium keinen Schaden anrichten. Herr Balling wurde fündig und hat Kalziumchlorid und Natriumhydrogencarbonat gefunden. Das Kalzium-Ion ist also verpaart mit Chlorid-Ionen und das Karbonat hat seinen Gegenspieler in Form von Natrium-Ionen. Wenn wir diese Salz in Wasser auflösen, dann bekommen wir, wie gewünscht, Kalzium-Ionen und Karbonat-Ionen und gleichsam als Abfallprodukt noch Chlor-Ionen (korrekterweise heisst es "Chlorid-Ionen", aber für uns Laien ist das nicht matchentscheidend) und Natrium-Ionen. Was aber richten nun diese Chorionen und Natriumoinen in unserem Wasser an? Schadet es den Fischen oder vergiftet es irgendwie das Wasser? Das ist nun das Geniale am Ansatz von Balling: Sowohl Chlorid- wie auch Natriumionen haben wir eh schon zuhauf in unserem Becken und jeder, der schon mal Nudel gekocht hat, kennt den Geschmack dieser Ionen: Es ist nichts anderes als aufgelöstes Kochsalz mit der Formel NaCl (Natriumchlorid).

Kalziumchlorid gibt es zu kaufen, wäre allerdings in Reinform recht teuer. Darum wird für die Ballingmethode das günstigere Kalziumchlorid Dihydrat verwendet. Dabei handelt es sich um CaCl2 (H2O)2. Das H2O in Klammern heisst nichts anderes, als dass in unserem Calziumchlorid noch etwas Wasser eingebaut ist. Genau genommen kommen auf jeden Teil CaCl2 noch 2 Teile von H2O (Wasser). Die Wassermoleküle sind in die Gitterstruktur des Salzes eingebaut, wir müssen uns also nicht vorstellen, dass unsere Tüte durchsuppt vom pappig-feuchten Salz… Das extra Wasser tut uns nicht weh, solange bei der Zugabe berücksichtigt wird, dass halt in einem Gramm Kalziumchlorid Dihydrat nicht nur ein Gramm Kalzium und Chloridiomen drin sind, sondern ein Teil des Gewichtes aus Wasser besteht. Die Rechnerei überlassen wir sowieso den Chemikern oder dem AquaCalculator und darum brauchen wir uns hierüber keine Sorgen zu machen. Kalziumchlorid Dihydrat können wir als Pulver im Meerwasserfachhandel kaufen und ein Kilo davon kostet z.B. bei Mrutzek aktuell 8.90 EUR.

Natriumhydrogencarbonat, das zweite Balling-Salz ist ebenfalls recht erschwinglich und kostet aktuell 6.90 EUR pro Kilogramm.

Was hat es auf sich mit dieser komischen NaCl-freien Meersalzmischung?


Grundsätzlich könnten wir nun einen sinkenden Ca-Wert im Becken mit der Zugabe von Kalziumchlorid Dihydrat korrigieren und einen sinkenden KH-Wert mit der Zugabe von Natriumhydrogencarbonat. Wir müssten nur beachten, dass wir nicht zu viel auf's Mal ins Becken geben, damit die rasche Änderung unsere Tiere nicht übermässig stresst. Die maximale tägliche Zugabemenge ist ebenfalls im AquaCalculator hinterlegt und wenn wir uns an dessen Dosieranleitung halten, dann sind wir auf der sicheren Seite. Des weiteren sollte die Zugabe zeitlich gestaffelt oder zumindest an verschiedenen Stellen im Becken erfolgen, damit sich die Ionen nicht sogleich spontan zu Kalk verbinden und ausfällen.

Was ist nun das Problem bei diesem Vorgehen? Bei der Zugabe der beiden Ballingsalze entsteht ja als Abfallprodukt Kochsalz (NaCl) und damit wird über einen längeren Zeitraum unser schönes der Natur nachempfundenes Meerwasser zusehends kochsalzlastiger. Ob das Überhandnehmen von Natrium und Chlorionen tatsächlich einen schädlichen Einfluss auf unsere Bewohner haben, mag dahingestellt bleiben, aber auf jedem Fall hätten wir nach einer Weile ein Salzwasser, das sich in seiner Zusammensetzung immer weiter vom natürlichen Meerwasser entfernt und das möchten wir vermeiden. Wie kriegen wir nun also dieses Zuviel an Kochsalz wieder aus unserem Wasser? In dem wir Kartoffeln darin kochen vielleicht? Die Antwort lautet: "Gar nicht!". Wir lösen das Problem auf andere Weise: Wir geben einfach von all den anderen Komponenten von Meerwasser dazu und lassen das Kochsalz weg. Auf diese Weise stimmen die Mengenverhältnisse der Ionen untereinander wieder. Wer bis jetzt noch nicht der Meinung war, dass die Balling-Methode (und dessen Erfinder) ziemlich clever sind, wird jetzt spätestens davon überzeugt sein. Da die Hersteller von Meersalzmischungen einfach verschiedenste Salz miteinander mischen und in Kübel abfüllen, müsste es nun einfach einen Hersteller geben, der für uns eine Salzmischung zubereitet, wo alle Komponenten bis auf das Kochsalz drin sind. Gibt es nicht, gilt nicht, denn gibt es schon: Grotech oder auch TropicMarin haben solche Salze im Angebot.

Wo aber liegt der Fehler?


Keine Methode ist vollkommen und so auch nicht die Balling-Methode. So ganz stimmen diese Rechnereien nicht und mit der Zeit summieren sich die Fehler und ausserdem steigt wegen der ständigen Zugabe von Salzen die Salinität in unserem Becken an. Da wir die Mengen der gelösten Ionen nicht genau genug messen können um gezielte Korrekturen vornehmen zu können (aber auch da hätten wir ja das Problem, dass wir nicht einzelne Ionen sondern nur Salz (und dieses besteht ja - wie wir nun wissen - immer aus zwei Ionen) machen wir einfach die Korrektur aller Fehler mit dem Holzhammer: Regelmässig alle 2 Wochen ersetzen wir 10-15% unseres mit Fehlern behafteten Wassers mit frisch angesetztem Meerwasser und korrigieren somit einen Teil der Fehler. Gleichzeitig messen wir die Salinität mit einem kalibrierten Refraktometer und nehmen die Korrektur mit etwas zusätzlichem Salz oder mehr Osmosewasser vor. Zwar nicht perfekt aber tausendfach erfolgreich im Einsatz und durchaus praxistauglich!

Was tun mit Magnesium?


Die Korallen verbrauchen nicht nur Karbonathärte und Kalzium, sondern zu einem weitaus geringeren Teil auch Magnesium. Hier gibt es nun eine Erweiterung zur Balling-Methode mit zwei weiteren Salzen (Magnesiumchlorid und Magnesiumsulfat). Hier wird es für den Nicht-Chemiker aber schon richtig kompliziert und ich rate dem Normalaquarianer es bleiben zu lassen. Magnesium wird nur in geringen Mengen verbraucht und es sollte möglich sein, den Wert durch die normalen Wasserwechsel im Normbereich zu halten. Falls nicht, würde ich eher zum Wechsel zu Triton oder Sangokai raten als die aufgebohrte Balling-Methode zu verwenden. Diese würde den chemisch wenig versierten Meerwasseraquarianer rasch intellektuell überfordert und man könnte irgendwann beim Anmischen der Lösungen Fehler machen mit unabsehbaren Folgen.

und was ist los mit den Spurenelementen?


Stellen wir uns gedanklich die in Meerwasser gelösten Ionen als farbige Kugeln in der Spielecke von McDonalds vor, dann haben wir grosse farbige Kugeln für Chlor, Natrium, Magnesium, Schwefel und Kalium. Nachdem unser Nachwuchs also sein Happy Meal verdrückt und den Tisch und seine Patschhändchen mit Ketchup vollgekleckert hat, schicken wir ihn zu den Bällen. Voller Freude wühlt also unser Junge im Bad der gelben, roten, blauen, grünen und orangen Bällen und kommt dann plötzlich mit einem kleinen Stecknadelkopf in brauner Farbe angerannt: "Papi, schau, was ich gefunden habe: Ein Bromid-Ion!". Wenig später kommt auch unser Mädchen und bringt uns ein kleines, golden blitzendes Staubkörnchen: "Mami, ich habe Gold-Ion gefunden!" In etwa so müssen wir uns die Mengenverhältnisse der Makroelemente zu den Spurenelementen vorstellen. Die Makroelemente sind die grossen, wichtigen Hauptbestandteile des Meerwassers, während die Spurenelemente die kleinen, unscheinbaren aber nichtsdestotrotz wichtigen Nebendarsteller sind. Diese kleinen Fitzelchen von Mangan, Molybdän, Nickel, Barium und wie sie alle heissen, sind die Krux der Meerwasseraquaristik. Sie sind in so geringen Mengen vorhanden, dass sich die Salzhersteller schwertun diese in der genau benötigten Menge beizumischen und wir armen Aquarianer sind nicht in der Lage diese mit unseren Tröpfchentests zu messen. Was also können wir tun: Wir machen fleissig Wasserwechsel mit einem guten Markensalz und vertrauen auf die Kompetenz und Sorgfalt der Salzhersteller. Allenfalls geben wir Spurenelementelösungen zusätzlich in unsere Becken, wissen aber nie so genau, ob wir nicht allenfalls überdosieren, weil wir ja den Verbrauch nicht kennen und auch nicht wissen wieviel von welchem Spurenelement schon in unserem Salz drin war.

Was hat es mit den anderen Methoden auf sich wie Triton, Sangokai, Zeovit etc.


Mit dem Aufkommen der Triton-Methode wurde ein neues Element in die Meerwasseraquaristik eingeführt: Die Wasseranalyse mit professionellen Geräten. Diese sind in der Lage eine Vielzahl der Makro- und Spurenelemente zu erfassen und diese mengenmässig zu bestimmen. Dies erlaubt es uns nun gezielt die fehlenden Spurenelemente zu ergänzen oder auszudünnen. Auf diese Weise können auch Stoffe gemessen werden, die wir keinesfalls in unserem Wasser vorfinden wollen wie z.B. Schwermetalle, welche oftmals als unerwünschte Beigabe von Spurenelementen oder Salzmischungen in unser Becken geraten oder noch schlimmer in Form einer vor sich hinrostenden Schraube im Technikbecken.
Andere Methoden funktionieren ähnlich, teilweise wird aber statt einer Wasseranalyse die Färbung bestimmter Korallen als Indikator für den Mangel bestimmter Spurenelementen hinzugezogen.