Unterlassene Hilfeleistung und Wink mit dem Zaunpfahl

Ich habe mich seit meinem Urlaub in Ägypten vom Kaffee- zum Teetrinker entwickelt. Erstens sind Tees in den Aromen vielseitiger und ausserdem erhoffe ich mir hierdurch ein stabileres Nervenkostüm, einen tieferen Puls und damit einhergehend bessere Leistungen im Apnoetauchen. Wenn man nun aber den ganzen Tag tassenweise Tee in sich hineinschüttet, dann muss man ja zwischendurch ja auch wieder seinen Körper von überflüssiger Flüssigkeit befreien. Ihr versteht, was ich meine? So besuche ich also am Sonntagabend unaufgeregt und mir nichts Böses denkend, dasjenige Zimmerchen meines Hauses, welches das allerkleinste von allen ist, eine Türe hat, Sichtschutz am Fenster und zweckdienliches Mobiliar aus Keramik vom Sanitärinstallateur eingebaut und ans Rohrleitungssystem angeschlossen. *zwinker* *zwinker* Meine Leser, nicht auf den Kopf gefallen, können natürlich längstens erahnen, von welchem "Zimmerchen" ich spreche. Jedenfalls sitze ich gemütlich auf dem Italienischen Möbelstück, in meinem Falle eines aus dem edlen Hause Catalano und lasse den Resten des Jasmintees freien Lauf, als ich plötzlich von draussen die aufgeregte Stimme von Anita vernehme: "Chummchummchumm schnäll!" Da ich eher der gemächliche Typ bin und mich wenn ich mit heruntergelassenen Hose dasitze, nicht gerne stressen lasse, denke ich: "Was denn, so aufgeregt, meine Liebste, ich kann ja nachher zurückspulen und die Szene nochmals anschauen". Von draussen ertönen aber alsbald ihre Rufe: "schnällschnällschnäll chumm!" Ich vermute, dass sich das Nachbarskätzchen in mein Wohnzimmer verirrt hat, aber auch das ist kein Grund sich nicht die Hose ordentlich zuzuknöpfen, die Wasserspülung zu betätigen und sich die Hände zu waschen. Wie ich neulich in einem Artikel im 20 Minuten gelesen habe, wasche sich ein unerwartet hoher Prozentsatz der Schweizer Bevölkerung nachher (nach was wohl?) nicht die Hände und sowas tut man nicht auch nicht wenn draussen die Welt untergeht. "Chumm, schnäll, chumm!", erschallt es von draussen. Nun ist auch mir nicht entgangen, dass meine Freundin ihre Rufe mit einer ordentlichen Prise Alarmismus untermalt hat. "Ei, das Kätzchen wird sich doch nicht auf meiner Auslegeware übergeben oder hat sich gar mein Schatz beim Apfelschälen in den Finger geschnitten?". Meine Hände sind zwischenzeitlich getrocknet, das Handtuch sauber aufgehängt und nun gehe ich eiligen Schrittes ins Wohnzimmer.

Anita steht wie angewurzelt vor dem Aquarium, fuchtelt wie wild mit den Armen in der Luft rum und japst: "Ujujujujuj, Nemo, Nemo, Nemo, Bodä!" Ich schaue zu Boden und tatsächlich liegt da der japsende, kleine Nemo, der sich in Apnoetauchen übt. Vorsichtig mit beiden Handflächen nehme ich den kleinen Kerl vom Boden und lasse ihn wieder in sein Element gleiten. Nemo sinkt wie ein Herbstblatt zu Boden und ist sichtlich hypoxisch: Vom AIDA-Schiedsrichter würde es da heissen: "Red Card!" Neben mir japst auch Anita nach Luft und Worte und stammelt: "Oh nei, oh nei, oh nei, ich han en nöd chönne aalange!" Da ich weiss, dass ein Teil meiner Leserschaft, des Schweizerdeutschen nicht mächtig ist, folgt hier die Übersetzung ins Hochsprachliche: "Oh nein, oh nein, oh nein, ich konnte ihn nicht anfassen!" Anita ist grosse Tierfreundin, Teilzeitvegetarierin, trägt keine Pelzkragen und könnte keiner Fliege was zu leide tun, aber japsend zuschauen wie ein Fisch einen neuen Staticrekord aufstellt, das kann sie! Da kann ich mir nur erhoffen, sollte mich mal ein Herzinfarkt oder Stromschlag ereilen, jemand grad auf meinem Klo sitzt, den sie japsend herbeirufen kann!

Der Grund für des Fisches kühnen Sprung aus dem Becken ist unschwer auszumachen: Wird der Kleine doch, immer noch etwas hypoxisch belämmert und von Sambakrämpfen geplagt, gleich vom grösseren Anemonenfisch aufs Gröbste attackiert. Wie dieser innerhalb einer Minute seine dritte Angriffswelle lostritt, vertreibe ich ihn mit dem langen PVC-Rohr, welches ich zum Rumstochern im Sand verwende und griffbereit im Unterschrank liegt. Klein-Nemo muss ins Asyl, im Riffbecken kann ich ihn nicht lassen. Er lässt sich dann auch, von seinem Aufenthalt an der Luft immer noch angeschlagen, auf Anhieb einfangen und so setze ich ihn zum Nemoaufwuchs ins Kellerbecken. Der erneute Stress macht ihm Anfangs zu schaffen und er japst wieder wild nach Luft (also eigentlich japst er ja nach Wasser) und verdrückt sich in die Ecke. Seine Haut ist auf einer Seite, wohl auf derjenigen auf der er auf dem Steinzeug gelegen ist, etwas fleckig und ein weisses Pünktchen ist in seinem Auge auszumachen. Ich gebe etwas MicrobeLift Aquatic Stress Relief ins Wasser und bei den nunmehr folgenden halbstündlichen Kontrollen, zeigt er zunehmende Besserung. Heute ist er schon wieder ganze der Alte und schwimmt freudig zwischen den kleinen Clownteenies in der Anemone rum.

Von einem treuen Leser bekomme ich den Hinweis, dass wenn ich heute keinen Artikel poste, ich eine rekordmässig-noch-nie-dagewesene Blogpause von einem ganzen Monat eingelegt haben werde. Danke für den Hinweis, Florian, einen ganzen Monat ohne Blogberieselung will ich dir und den anderen verbleibenden Lesern (sofern denn noch welche da sind?) natürlich nicht zumuten und mache darum heute, wie ihr es euch von mir gewohnt seid, einmal mehr aus einer Mücke einen Elefanten.

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