Was in unseren Seen so zu finden ist

Bei einem meiner Apnoetauchgänge am Freitag entdecke ich in etwa 2 Meter Wassertiefe ein kleines, rechteckiges, schwarzes Kästchen. Ich hebe es auf und betrachte es: Das Kästchen scheint mit Klebeband zugeklebt zu sein und an der Längsseite kommt ein verdrillter Draht zum Vorschein. Ich weiss nicht was es ist, aber mein erster Gedanke ist: Das ist ein Sprengkörper mit Reisszünder! Da ich das Ding nun schon in meiner Hand halte und es noch nicht explodiert ist, kann ich es ja auch ruhig aus dem Wasser nehmen und einen erweiterten Augenschein nehmen. Also nehme ich das Böxchen mit und lege es in einigen Metern Abstand der sonnenbadenden Anita auf die Hafenmauer. Meiner Ausrüstung entledigt und mit Brille inspiziere ich das Kästchen: Es ist überraschend schwer, ob es sich um einen Akku oder ein Ballastgewicht der hier öfter anwesenden Modellschiffler handelt? Ein Akku kann es nicht sein, denn dann müssten ja beide Pole zu sehen sein. Ballastgewicht ist auch unwahrscheinlich, denn zu welchem Behuf würde man da einen verdrillten Draht anbringen?

Da ich meinen Fund ja nicht gut auf der Hafenmauer liegen lassen kann, nehme ich ihn im Kofferraum mit nach Hause. Im schlimmsten Fall ist es eine Art Rauchgranate oder Feuerwerkskörper und so lange ich nicht am Draht ziehe und das Teil einigermassen pfleglich behandle, wird es mir schon nicht in der Hand hochgehen. Das Kästchen mit unbekanntem Inhalt kommt erst mal ins Spülbecken in meiner Garage und geht da auch mal zwei Tage lang vergessen. Erst am Sonntag fällt mir das Kästchen wieder ein und ich untersuche es erneut. Nach Schweizer Armee sieht es nicht aus, da wäre doch irgendwo eine Beschriftung, eine Nummer oder zumindest ein Schweizerkreuz eingeprägt. Mit einem Teppichmesser löse ich die Reste des zerfallenen Klebebandes und öffne den Deckel. In der Erwartung, dass sich mir jetzt etwas Metallschrott oder sonst ein Inhalt, der Rückschluss auf die Funktion des Kästchens offenbart, wird enttäuscht. Das Innere ist mit einer homogenen, rosafarbenen Masse gefüllt, die etwa die Konsistenz von Gips hat. Jetzt, wo klar ist, dass es sich hier nicht um das Werk eines Bastlers, sondern ein industrielles Produkt handelt, rückt die These von der Rauchgranate wieder in den Vordergrund.

Obschon ich nicht gerne Behörden mit meinen Spinnereien belästige, beschliesse ich ein paar Fotos des Gegenstandes zu machen und dieses zur Abklärung der Blindgängermeldestelle zu schicken. Tatsächlich verfügt diese, wie eine kurze Internetrecherche ergibt, über eine Mailadresse und so schreibe ich in etwa eine Kurzversion dessen, was ich hier schon einleitend geschrieben habe.

Während des Restes vom Sonntag und Pfingstmontag bin ich etwas amüsiert, dass auf mein Mail an diese Notfallbehörde keine Antwort erhalte. Die Schweizer Luftwaffe ist nur während der Bürozeiten operativ und so wird es auch mit der Blindgängermeldestelle sein: Wer also an einem schönen Wochenende beim Wandern über Bergwiesen bei der Mittagsrast seinen Allerwertesten versehentlich auf eine Blindgänger setzt, sein Missgeschick bemerkt, vor Schreck zur Salzsäule erstarrt und dessen Weib Lot dann per Handy den Fund meldet, hat sich bis am nächsten Werktag 08:00 zu gedulden, bis er auf behördliche Hilfe hoffen kann.

Heute Vormittag, ich bin gerade auf einem Conference Call zum Thema Security Dashboard, bekomme ich einen Anruf auf mein Handy von einer unbekannten Handynummer. Da sich in letzter Zeit die Krankenkassen-Callcenter immer fiesere Tricks ausdenken, um uns zum Rückruf zu bewegen, denke ich mir nichts weiter dabei. Zu allerletzte würde ich annehmen, dass eine offizielle Meldestelle der Schweizerischen Eidgenossenschaft über keine Festnetzanschlüsse verfügt. Wie ich also später auf die Nummer zurückrufe und mich gedanklich schon darauf einstelle einen dreisten Krankenkassenverkäufer zu verwünschen, meldet sich die Blindgängerfundmeldestelle. "Ach ja, Herr Horvath, Sie sind ja derjenige, der den Nebelkörper gefunden hat!" Ich bin einigermassen verblüfft und frage, ob es sich also tatsächlich um einen Explosivkörper handle. In der Tat: Was ich gefunden habe sei ein "Nebelkörper 300g Nbk" der Schweizer Armee. "Und wie kommt so ein Nebelkörper in den Untersee bei Steckborn?", meine etwas naive Frage. Die habe, wie meistens in solchen Fällen, wohl ein Armeeangehöriger im Dienst entwendet und sich dann später entschlossen, das Ding zu entsorgen. Man kann nun dem Verursacher zu Gute halten, dass er einen Ort für seine Entsorgung gewählt hat, wo normalerweise keine Kinder rankommen aber die deutlich bessere Handlungsalternative wäre es gewesen, das Teil beim nächsten Polizeiposten oder Kaserne abzugeben. Ich gehe davon aus, die Behörde hätte Nachsicht gezeigt angesichts der späten Reue und die Sache wäre ohne weitere Konsequenzen erledigt gewesen. Das Ding einfach in den See zu schmeissen - aus den Augen aus dem Sinn - zeugt nicht gerade davon, dass dich deine Militärzeit zum Mann gemacht hat!

Der nette Herr von der Blindgängermeldestelle bietet mir nun an, eine Patrouille der Miltärpolizei bei mir vorbei zu schicken um das Teil abzuholen oder ich könne es im Zeughaus Frauenfeld abgeben. So lange ich nicht am Draht ziehen würde, sei der Gegenstand nicht sonderlich gefährlich. Obschon ich den Gedanken verlockend finde, meine Nachbarn zu irritieren in dem ein Auto der Militärpolizei vor meinem Haus parkiert, möchte ich Gerüchten über eine allfällige Radikalisierung des ansonsten friedlichen Spinners an der Fischerlistrasse 8 keine Nahrung bieten und schlage vor, dass ich den Nebelkörper bei nächster sich bietender Gelegenheit ins Zeughaus bringe.

Nach dem Anruf suche ich mit Google die Adresse des Zeughauses in Frauenfeld und sehe mir in Google-Maps an, wo ich hinfahren muss. Da es zwischenzeitlich 12:20 geworden ist und wie der Blick auf die Öffnungszeiten bestätigt, hält sich offenbar nebst der Luftwaffe und der Blindgängermeldestelle auch die Eidgenössischen Zeughäuser (die irgendwann in den letzten Jahren in "Retablierungsstellen" umgetauft wurden) strikte an Bürozeiten. Ich hoffe hier jetzt keine militärischen Geheimnisse auszuplaudern, aber falls eine fremde Macht beabsichtigt zu Luft, zu Lande oder zu Wasser in die Schweiz einzudringen um unsere schönen Alpen zu annektieren, habe ich hier einen Tipp für euch, der garantiert dafür sorgen wird, dass euer Vorhaben von Erfolg gekrönt sein wird: Legt den Angriff auf's Wochenende oder auf den Zeitraum zwischen 11:30 und 13:30 und ihr werdet auf wenig Gegenwehr stossen…

Am frühen Nachmittag rufe ich auf die Retablierungsstelle Frauenfeld , Armeelogistikcenter Hinwil, Retablierungsstelle PA an. Da ich lange genug Dienst gemacht habe, stelle ich mich gedanklich auf Folgendes ein: Eine vom Rauchen von Brissagos angerauhte Männerstimme wird abheben und in breitestem Berndeutsch in den Ohrhörer aus Bakelit raunen: "Züüüüghuuus Frouefeld - Wachtmeischter Hääääberli - was wölleder?". Ich werde enttäuscht, respektive positiv überrascht: Eine helle und freundliche Frauenstimme nimmt ab und informiert mich, dass sie bereits heute Vormittag von der Meldestelle über mein baldiges Erscheinen informiert wurde. Sie wisse zwar selber nicht, was sie mit dem Ding anfangen solle aber im Haus gegenüber sei die Militärpolizei und sie werde meine muschelbewachsene Granate nach Erhalt pronto eigenhändig über die Strasse tragen; die Jungs da seien fix und wüssten bestimmt wie damit zu verfahren sei.

Morgen 8 Uhr, werde ich also mein Rauchgranätchen wieder los; ich bin gespannt, wie die Geschichte weitergeht…


Ein einfaches schwarzes Kunststoffböxchen, aber der Draht macht mich stutzig


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Dem Muschelbewuchs nach, dürfte das Kästchen ein paar Monate im See gelegen haben


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Wie ich das Kästchen öffne, erhärtet sich meine Vermutung: Das ist kein Bastelwerk eines Modellschifffahrers, sondern ein industrielles Produkt


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